Tingvall? Klingt irgendwie skandinavisch? Sind die so etwas wie e.s.t.?
Ich nehme mal an, dass dem Tingvalltrio dieser Vergleich inzwischen etwas zum Halse raushängen dürfte, denn fast immer, wenn man über sie redet fällt auch zwangsläufig der Name e.s.t.. Für diejenigen, denen auch dieses Akronym nicht sagt, denen sei kurz erklärt, dass das für Esbjörn Svensson Trio steht. Diese war eine die angesagteste Jazzformation des letzten Jahrzehntes und hatten International großen Erfolg. Gerade in Deutschland erfreut skandinavischer Jazz mit seinen großen melancholischen Klangflächen großer Beliebtheit, seitdem in den 80ern Jan Gabarek mit dem, was ich gerne Fjordjazz nenne, aufkam. Und so war e.s.t. nicht nur bei den Hardcorejazzfans beliebt, sonder hatte für eine moderne Jazzgruppe eine sehr große Fangemeinde. Leider verunglückte der Pianist Svensson 2008 bei einem Taucherunfall tödlich.
Das Tingvall Trio ist zur Zeit das hierzulande angesagteste Jazztrio und viele Kritiker bezeichnen sie als e.s.t. Nachfolger. Ich finde, der e.s.t. Vergleich hinkt gewaltig. Ein Kollege meinte allerdings, dass Tingvall die Marktlücke nach dem Ende von e.s.t. zu nutzen weiß. Ganz unzutreffend ist das wohl nicht.
Letzten Donnerstag (19.1.2012) hatte ich das Vergnügen, dem Tingvall-Konzert in der Bremer Glocke, welche an dem Abend so gut wie voll besetzt war, hören zu können.
Obwohl Frontman Martin Tingvall auch Schwede ist, wird man nicht von melancholischen Klangwelten erschlagen, wie man es von skandinavischem Jazz ja meist erwartet. Das liegt vielleicht auch daran, dass dieses Trio international Besetzt ist und in Hamburg ansässig ist. Alle drei sind begnadete Musiker. Der deutsche Schlagzeuger Jürgen Spiegel hat mich sehr fasziniert, (weswegen genau, kann ich gar nicht sagen) und besonders begeistert haben mich die furiosen Soli vom kubanischem Kontrabassiten Omar Rodriguez Calvo, bei dem sogar Saxophonisten neidisch geworden sein dürften. Die Interaktion unter den Musikern war fantastisch und triefte vor Spielfreude.
Was ich sehr erfrischend fand – also im Gegensatz zu den „modernen“ Jazzhörgewohnheiten – dass einige Stücke erkennbar ein Swing oder Samba war, was heutzutage ja fast schon ungewöhnlich geworden ist. Einige Stücke waren deutlich rockiger andere waren eher lyrischer Natur. Oft sprühten sie vor Humor. Witzig war e.s.t nie. Musikalisch fand ich den Abend also in keinster Weise mit e.s.t. vergleichbar.
Und das ist auch gut so, denn das fetzt und das Publikum hielt es kaum noch in den Sitzen, was nicht unbedingt selbstverständlich bei den sehr norddeutschen Bremern in der altehrwürdigen hanseatisch geprägten Glocke ist. Kurz, das Konzert kam bei allen blendend an.
Das Tingvall Trio spielte eine Auswahl von Liedern aus ihren 4 bisher erschienen Alben, was ich persönlich interessant fand, da man doch eine gewisse Entwicklung hören könnte. Die späteren Werke wirken etwas „erwachsener/reifer“. Tatsächlich finden sich auf dem letzten Album „Vägen“ (2011) deutlich mehr Stücke die „skandinavischer“ klingen und jetzt muß ich doch zugeben, dass die CD ein wenig an e.s.t. erinnert. Hmm, vielleicht ist das dem Zeitgeist und Geschmack des Publikums geschuldet und das ist ja auch nichts schlechtes, zumal ich sie mit Freude höre, aber ich werde mir wohl zusätzlich noch eine der älteren Alben holen müssen.
Abschliessend möchte ich mich beim Tingvall Trio entschuldigen, dass ich für diesen Artikel doch wieder so oft den e.s.t. Vergleich herangezogen habe.
Hi Tobias,
danke für den Tip, das Tingvall Trio kannte ich noch nicht, aber hört sich für mich gut an.
gruß, gerhard