Eine italienische Schönheit namens Borgani

Borgani?! Dieser Name stößt hierzulande eher auf Unkenntnis. Da kommen Kommentare wie „Waren das nicht die Bösen bei Star Trek?“ ; höchstens vielleicht noch „Spielt der Joe Lovano nicht sowas?“. Auch ich wurde erst per Zufall auf der letzten Musikmesse darauf aufmerksam und war mehr als angetan. Seit dem konnte ich kaum noch warten, so ein Teil mal gründlicher unter die Lupe nehmen zu können. Nun habe ich so ein Schmuckstück endlich da und möchte es gerne meinen Lesern vorstellen. „Gestatten, diese besondere Schönheit heißt Borgani“.

Um wirklich erklären zu können, warum es sich hierbei um etwas besonderes handelt muß ich wahrscheinlich ganz vorne Anfangen. Und zwar im Jahre 1872 in einem Dorf Mittelitaliens namens Macerata. Genauso könnte auch eine schöne Urlaubslektüre beginnen, aber so fängt die Geschichte des Famlienunternehmes Borgani an. Der Gründer Augusto Borgani schickte seinen Sohn Arturo in die Staaten um bei Conn zu lernen. Das Familien Geschäft wurde  von da an immer an den Sohn weiter gereicht. In den 50ern expandierte Borgani dann weltweit und fertigte für die Masse (leider auch mit dementsprechender Qualität). Aber gegen die asiatische Konkurenz hatte man natürlich kaum eine Chance, weshalb es – wie bei den anderen italienischen Herstellern – sehr ruhig um Borgani wurde. In den 80zigern wurde das unternehmen nun an die 4. Generation Borgani weiter gereicht und Orfeo Borgani besinnte sich auf die alten Werte zurück und produziert jetzt nur noch nach alter Tradition vollkommen handgearbeitete Saxophone für das Profisegment.
Nur nebenbei, damit ist Borgani eine der ältesten Saxfirmen. Sogar noch älter als Selmer.

Zum Testen hat mir Orfeo das Instrument zugeschickt, dass ich bereits auf der Messe in der Hand hatte. Ein Altsaxophon 24k vergoldet und Sandgestrahlt. Diese Finishvariante wird bei Borgani „pearl gold“ genannt. Modellbezeichnungen gibt es dort nicht wirklich, weil es halt nur eines gibt. Keine Schülersaxophone, keine Nachbauten keine sonstiges irgendwas Marketinggedöns. Auch bemerkenswert finde ich, dass es aus qualitativen und soundtechnischen Gründen keine lackierten Instrumente gibt. Dieser Ansichten habe ich eh schon lange und freue mich, dass das ein Hersteller endlich mal konsequent umsetzt. Von Borgani gibt es nur Altos, Tenöre und Sopranos in unlackiert, versilbert und vergoldet (24K) und diese auch noch in einer „Pearl“-Variante (mattoptik durch Sandstrahlung). Die Sopranos haben den Clou eines austauschbaren Schallbechers (siehe Messebericht). Tenor und Alt wahlweise mit oder ohne Hoch-Fis oder mit angelötetem Schallbecher (bessere Resoanz, jedoch komplizierter beim Zerlegen).

Das Instrument kam in einem soliden kleinen Formkoffer. Das Teil kommt aus dem Hause Bam, aber keine Angst, das steht nicht drauf, stattdessen wird es verziert durch das elegante Borganiemblem. Die zwei Farbenoptik verleiht dem Teil einen edlen modernen Pfiff. Angetan war ich besonders vom Trageriemen. Da hat sich jemand mal Gedanken gemacht. Witzig finde ich das „Geheimfach“. Allerdings etwas ungünstig gelöst, da man als Deckel eine Plastikschale verwendet, die formtechnisch nicht ganz zum Borgani passt. Da ist nach meinem Befinden zu wenig Spielraum zum Instrument. Da es ein Formkoffer ist, ist halt kaum Platz für sonstiges Gedöns, dafür ist das Case aber auch sehr handlich. Sonstiges Zubehör ist nur noch ein Gurt und ein Wischtuch.

Nun zum Instrument. Ich habe mir diese Finishausführung zum testen extra gewünscht. Ich glaube nicht, dass die Bilder wirklich wiedergeben, wie schön das matte Gold aussieht. Außerdem finde ich es klanglich gut. Zuletzt ist Gold korosionsbeständig und läuft nicht wie Silber an.
Die florale Gravur ist schick und edel, kommt aber unter der Vergoldung nicht sehr hervor. Schade.

Schauen wir uns doch mal das Sax genauer an.
Der Schallbecher ist eher schmalerer Natur und ist merkwürdigerweise eher links orientiert. Der S-Bogen hat auch eine etwas ungewöhnliche Form. Er erinnert mich stark an echte Vintage-Instrumente (nicht so Youngtimer wie das Mk VI). Etwas mehr aufgerichteter und länger. Gernerell wirkt das Sax optisch schlanker.
Die vergoldete Mechanik macht einen sehr soliden Eindruck. An ihr sieht man besonders, dass es sich um reine Handarbeit handelt. Alles ist wirklich jeweils für das eine Saxophon angepasst. Dadurch hat man beim spielen ein so rundes und flüssiges Gefühl, wie ich das sonst kaum kenne. Dagegen wirken viele Asiaten nur eckig und kantig. Der Federdruck ist für mich angenehm (also nicht schlaff); nur die Mechanik des linken kleinen Fingers ist verhältnismäßig zu stark eingestellt.
Generell scheint hier alles runder. Viele Streben und Arme sind elegant um das Sax geschwungen. Keine geraden Winkel wie man es sonst kennt. Auch das ist einer der Gründe, warum dieses Sax so aus der Masse heraus sticht. Allerdings mußt man auch sagen, dass diese Individuelle Fertigung sich auch selbst bedingt. Denn es gibt so ein paar „italienische Eigenarten“ die an sich nicht ganz so korrekt sind, aber nonchalant korrigiert werden. Z.B. sitzt die Oktavklappenhülse des S-Bogens nicht wirklich mittig sondern rutschte etwas nach links. Dem Sound tut das keinen Abbruch, aber das ist wohl Teil des besonderen italienischen Charms. Daher ist jedes Instrument ein echtes Unikat (aber nicht so wie bei Selmer).
Natürlich handelt es sich bei den Inlays um echtes Perlmut. Beim Bb-Drücker (linke Hand) ist jedoch das Perlmut verschwunden. Mir sagt das zu. Die Gis-Klappe fällt auch irgendwie raus. Sonst ist der Arm ja immer oben auf die Klappe angelötet. Hier nicht. Wie ein großer Tropfen hängt die Klappe am Hebel.
Die Stützstrebe der linken Kleinfingermechanik geht etwas schräg nach unten, was für eine noch sichere Stabilisierung sorgt. Merkwürdig ist auch die Schraube am Daumenhaken. Um diese zu lösen brauch man anscheinend einen extra Schraubenzieher. Warum?
Durch all diese kleinen Unterschiede und die runden Arme wirkt die Mechanik als wäre sie an dem Saxophon eher „festgewachsen“ als montiert.
Bemerkenswert ist, das die Mechanik auf einzelnen Säulchen montiert ist und nicht auf vorgefertigten Schienen. Diese wurden von Selmer (wem sonst?) eingeführt und erleichtern die Montage. Das führt aber auch zu einem „engeren“ Klang. Durch die einzelenen Säulchen kann das Sax jedoch freier Schwingen, was sich sehr auf den Klang auswirkt (aber dazu kommen wir noch später). Leider machen das ansonsten nur noch wenige andere (u.a. Keilwerth und Sequoia) das so.
Was ich persönlich sehr schade finde, ist, dass es so gut wie keine Einstellschrauben gibt. Nur das nötigste, ist mit einem Schraubenzieher verstellbar. Rechte und Linke Hand Kopplungen sowie alle anderen Klappenaufgänge sind per Kork eingestellt. Das ist zwar eigentlich eine Geschmacksfrage, aber für mich mach anderen Hobbytüftler ist es mit Schrauben leichter, schnell mal selber Korrekturen zu vollziehen.
Ausgesuchte Pisoni Pads, Filze, Federn und Schrauben scheinen von genauso hoher Qualität zu sein, wie der Rest. Schade nur, dass die Daumenauflage der linken Hand noch aus Plastik ist. Passt meinem Epfinden anch nicht zum Rest des Bildes.

Also man man sieht an allen Ecken und Enden, dass die Borganis wirklich traditionell und komplett per Hand gefertigt werden. Da muß ich auch nicht noch extra erwähnen, dass Schallbecher und Co. handgeklöppelt sind; auch andere Werbeargumente von anderen Firmen sind hier quasi eine Selbstverständlichkeit. Daher werden allerdings auch nur um die 300 Borganis pro Jahr gebaut. Meines Wissens ist Borgani eine der letzten Firmen, die noch so produzieren.

Ansprache ist gut und ausgeglichen. Hat einen gewissen Widerstand, so wie die meisten Profis es bevorzugen. Die Intonation entspricht dem sonstigen Qualitätsniveau. Mir ist nur aufgefallen, dass die Palmkeys ab dem e“‘ etwas nach oben tendieren, aber das läßt sich leicht durch einen etwas verringerten Klappenaufgang korrigieren. Ansonsten erfüllt es sogar Klassikerbedürfnisse. Auch der Klang ist sehr homogen. d‘ und d“ klingen schön voll. Nur das a“ ist manchmal minimal stumpfer.

Kommen wir nur zum Klang. Zwei Wörter würde es ausreichend beschreiben: „einfach schön“. Ich wüßte nicht womit ich das Borgani jetzt direkt vergleichen könnte, weil es doch einen sehr eigenen Klang hat. Nicht so kernig und näselnd wie man es von Selmer kennt. Rund, warum, voll und sehr farbenreich. Das liegt wahrscheinlich mit an der Konstruktion mit den einzelenen Säulchen.
Persönlich mag ich auch den Klang von Vergoldungen. Der Ton wird konkreter und strahlt mehr ohne dabei so hell und klar zu werden wie eine Versilberung. Sandstrahlungen macht den Sound meist ein wenig obertonreicher/strahlender.
Da nun der Klang recht rund und warm ist, mischt er sich gut in Sätzen ein, das heißt aber auch, dass es nicht so ideal dafür geeignet ist gegen E-Gitarren zu kämpfen. Für diejenigen, die einen lauten, schrillen und rabiaten Sound suchen, gibt es also wahrscheinlich passendere Kandidaten. Diejenigen, die es gerne mal auch lyrischer mögen, werden das Teil lieben. Dadurch kann es gerade für Klassik ein faszinierendes Instrument sein.
Dennoch halte ich es für ein sehr flexibles Horn. Mit der richtigen Setupwahl geht auch Bigband und Funk genauso gut und für die meisten Jazzbereiche bietet das Borgani eine interessante Klangvariante. Und für die ganz extreme Lautstärken gibt es ja heutzutage Mikrophone und Lautsprecher.
Vielleicht ist das der italienische Sound. Zumindest habe ich keine Probleme mich bei dem Klang in Urlaubsstimmung beim Sonnenuntergang und einen italienischen Rotwein an der mediteranen Küste vorzustellen.
Kurz, kein Ferrari, sondern eher ein Lamborgani.

Tja, warum ist dann Borgani hierzulande ein so unbeschriebenes Blatt? Das liegt wohl daran, dass Borgani noch keinen deutschen Vertrieb hat. Erst jetzt sind Borganische Instrumente hierzulande erhältlich. Der Berliner Mike Duchstein von www.saxophon-service.de hat nun ein Satz im Vintage Finish (unlackiert) bei sich stehen. Dort können sie also angespielt und erworben werden. Tja, qualitativ hochwertige Handarbeit ist nie billig und somit liegen die Preise für Borgani bei 3000 und aufwärts. Ein Schelm, der jetzt an spätrömische Dekadenz denkt. Jedoch wenn man es mit Selmerpreisen vergleicht oder die von einem gewissen schweizer Betrieb, wo ja auch noch rein per Hand arbeitet, scheinen mir die Preise reel und fair.
Ich sollte darauf hinweisen, da es sich um einen Betrieb handelt, in dem noch alles handwerklich gearbeitet wird in nicht all zu großen Auflagen, erfüllt Borgani auch speziellere Kundenwünsche. Wer also eine bestimmte Finishzusammensetzung will (z.B. unlackiert mit vergoldeten Klappen) und bestimmte Änderungen der Mechanik, sollte einfach mal bei Mike oder Orfeo nachfragen. Bei der Gelegenheit könnt ihr gleich von mir grüßen.

Fazit
Wie man merkt, bin ich dem Horn mehr als angetan. Optisch, haptisch und klanglich ein sehr edles Instrument, das einfach den Flair des ganz Besonderen hat. Superlative wie „das beste Saxophon, das ich je gespielt habe“ benutze ich nicht, obwohl es in diesem Fall der Sache schon recht nah ist. „Ein Saxophon eines Caesars würdig.“
Mein Problem ist jetzt folgendes: Ich will es! Braucht nicht irgendwer noch ein Selmer oder Cannonball Altsaxophon?

Ich möchte mich übrigens noch mal bei Orfeo Borgani und Mike Duchstein für die Bereitstellung des Testinstrumentes bedanken.
http://www.borgani.com/
http://saxophon-service.de/