das deutsche Mark VI Mekka

K1024_Mark VI Armin Weiß Marburg legendary saxophoneVor kurzem verschlug es mich in den Laden vom Holzblasinstrumentenmeister Armin Weis in Marburg. Kenner der Szene wissen, dass es sich hier um einen ganz besonderen Laden handelt.
Armin Weis hat sich nämlich auf Mark VI Saxophone spezialisiert. Neben dem üblichen modernen Sortiments, das man in den meisten gut sortierten Saxophonläden findet hat Armin Weiß eine beeindruckende Palette alter Selmer Saxophone zusammen getragen.
Aber warum ist das jetzt so etwas besonderes?
Viele Saxophonisten glauben, dass das Mark VI „das beste Saxophon ever“ sei. Ich sehe das persönlich etwas differenzierter. Einen ausführlicheren Artikel zum Mark VI Mythos von mir findet ihr hier:
http://saxophonistisches.de/selmer-mark-vi-%E2%80%93-doch-nur-eine-mythos/

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Selmer Mark VI – doch nur ein Mythos?

Immer und überall in der Saxophonistenszene fällt zwangsläufig in einer Diskussion das „Mark VI“. Es scheint omnipräsent zu sein und mir geht es zunehmend auf die Nerven. Deshalb möchte ich heute mal in diesem Thema aufräumen. Ich werde über ganz rationale Gründe über den Erfolg des Mark VI reden, diverse Gedanken über verschiedene Aspekte des Mythos verlieren und mich mit der Krux dieser übertriebenen Glorifizierung befassen.

Wenn man Saxophonisten nach dem „besten Saxophon fragt“ kommt sehr oft die Antwort „Mark VI“. Verwunderlich ist dann aber, dass alle Saxophonisten (Jazz) ganz individuell klingen wollen und die gängige Meinung über das Equipment ist, dass es eine ganz individuelle Sache sei und es bei keinem gleich zusammen passt.
Also jeder Saxophonist muß sein Equipment finden und alle klingen sie auf ihren Mark VI total unterschiedlich und individuell?

Zuerst muß ich hier aber auch sagen, dass selbst heutzutage die meisten Mark VI doch ganz gute Hörner sind, einige von ihnen sogar fantastisch; aber die besten? Ich meine: bei weitem nicht.
Aber wie kam es zu diesem gigantischem Erfolg und auch dem Mythos?

Ich glaube, da muß man wahrscheinlich im Jahre 1954 anfangen, dem Jahr an dem das Mark VI herauskam. Selmer war schon vorher bekannt und hat wie heute sehr gute Saxophone für den professionellen Bereich gebaut, die sich sowohl für Klassik wie auch Jazz eigneten. Jedoch war das Mark VI damals eine kleine Revolution. Es hatte damals mit Abstand die beste Mechanik. Klanglich spielte es auch ganz oben mit, wobei man aber ganz klar sagen muß, dass es zu der Zeit auch sehr gut klingende amerikanische Hörner gab (hier möchte ich z.B. das legendäre King S20 (Parker und Cannonball spielten es) erwähnen, welches mich persönlich vom Klang mehr anspricht).
Nun war aber noch in der frühen Nachkriegszeit die europäische Wirtschaft noch nicht so stark wie die Amerikanische, weshalb der Dollar deutlich mehr wert war als die französische Währung, wodurch das Mark VI auf dem amerikanischen Markt unschlagbar billig wurde.

Guter Klang, fantastische Mechanik und dazu ein unschlagbarer Preis; logisch, dass die ganzen Jazzer, die nie wirklich im Ruf standen, besonders vermögend zu sein, scharenweise auf das Mark VI gestiegen sind.

Da auch die Größen der Szene nun Mark VI spielten, wollte natürlich ihre Nachahmer, die genauso klingen möchten, auch alle ein Mark VI (das gilt auch heute noch so), vergessen dabei aber oft, dass für den Klang der Jazzlegenden wahrscheinlich eher deren jahrelanges Üben und Spielen verantwortlich sind, gefolgt von ihrer anatomischen Gegebenheiten und Blatt und Mundstück dürften auch noch ihr übriges dazu getan haben.

Wie dem auch sei, das Mark VI wurde damals zum Verkaufsschlager und wurde auch lange produziert. Teilweise wurden aufgrund der Nachfrage die Saxophone in die USA nur in Teilen endgefertigt, wodurch es zu den USA Lack und Gravierungen kam. Die restlichen amerikanischen Saxfirmen konnten damit nicht mithalten und machten Reihenweise ihre Produktionen dicht. Sehr schade. Und auch in Frankreich und dem Rest Europas hatten Konkurenzfirmen wenig Erfolg. Der Markt wurde recht einseitig und lange gab es kaum wirkliche Alternativen. Die Amis waren weg, die Japaner noch nicht da oder fertigten nur  auf Schülerniveau und Taiwan kam erst jetzt vor kurzem richtig auf den Markt mit brauchbaren Saxophonen. Einzig Keilwerth schien sich halten zu können.
Also auch kein Wunder, dass zeitweise fast alle Profis Selmer spielten.

Das Mark VI wurde dann von dem zu unrecht ungeliebten Mark VII abgelöst. Es war nicht wirklich besser, aber auf keinen Fall schlechter, nur moderner. Dabei waren die frühen Mark VII den späten Mark VI sehr ähnlich. Da es die hohen Erwartungen an den Mark VI Nachfolger nicht gerecht werden konnten, fiel es in Ungnade bei der Saxgemeinde (die Mark VII sind immer noch underpriced). Selbst heute muß sich Selmer immer wieder anhören, dass ihre neuen Hörner alle schlechter als das Mark VI seien.

Ein weiterer Grund für die heutige Beliebtheit, den ich persönlich gut nachvollziehen kann, ist dessen einmalige Verbindung von einem Vintageklang mit einer modernen Mechanik.
Tatsächlich ist das Mark VI der Prototyp der heutigen Hörner. Die Mechanik wurde zum Standard und auch das Klangideal orientierte sich sehr am französischen eher schlanken Ton mit dem leichten Näseln. Die Japaner kopierten anfangs ausschließlich Selmer. Sehr schade um den breiten fetten Sound der Amihörner. Dies ist meiner Ansicht nach auch ein Grund für den blühenden Vintagemarkt, weil es tatsächlich lange nichts mit dieser schönen Klangrichtung gab und man zwangsläufig auf die alten Geräte zurückgreifen mußte.

Aber nicht nur die Asiaten kopierten. Es gibt auf dem Markt unendlich viele Hörner, die Mark VI Kopien sein sollen. Als die besten gelten das Yamaha 62, das Selmer USA Omega, B&S Medusa, P.Mauriat System 76, Brancher und sogar Selmer kopiert sich mit dem Reference 54 selber.

Der vergleich mit dem Mark VI ist auch bei der Bewertung eines Saxes quasi obligatorisch. Je „Mark sexier“ etwas ist, desto besser.
Aber nach der Mark VI Fangemeinde erreicht keines von denen die Klasse, Charakter, Seele (oder was auch immer) des Originales. Viele meinen wirklich, dass mit dem Mark VI die Entwicklung des Saxophones abgeschlossen sei und danach die neuen Instrumente immer nur schlechter geworden sind. Ich denke hier sogar schon eine Art kleinen Fanatismus zu erkennen.

Zudem verwundert es mich, das keines der genannten Hörner wirklich ähnlich klingt, was mich mal zwangsläufiger zu der an sich einfachen Frage führte: „Wie klingt ein Mark VI denn nun eigentlich?“
Merkwürdigerweise bekommt man darauf sehr verschiedene Antworten und die Mark VI Spieler loben recht unterschiedliche Vorzüge ihres Horns. Von kräftig und hell über straight und kernig sowie charakteristisch und breit bis hin zu weich und dunkel.
Kann es vielleicht sein, dass es gar keinen einen Mark VI Sound gibt?
Wie kommt das? Dafür gibt es einige Erklärungen die eigentlich sogar auf Hand liegen.
Zunächst hat Selmer selbst heute noch ein kleines Problem mit der Produktionskonsistenz. Die Saxophone fallen trotz gleichen Modelles oft sehr unterschiedlich aus. Das war früher bestimmt nicht besser.
Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass die Instrumente schon alt sind. Ein Instrument verändert sich durch die Abnutzung, jede Generalüberholung. Andere Polster, andere Resonatoren und dann vielleicht noch neulackiert; schon hat man ein ganz anders klingendes Saxophon.
Ich muß zugeben, dass ich nicht der Mark VI Fachman bin, und vielleicht noch keine 100 Mark VI angespielt habe, jedoch waren die alle immer sehr verschieden, selten entsprachen sie ihrem Ruf und nur eines hatte mich vom Klang wirklich umgehauen, welches aber deutliche Intonationsprobleme hatte.

Ein weiterer Hauptgrund für dieses Klangspektrum liegt auch im langem Zeitraum, in dem es gebaut worden ist. In über 20 Jahren wurde das Mark VI nicht konstant gleich gebaut. Das Mark VI gab es ja sowieso in verschiedenen Varianten – mit oder ohne Hoch Fis, Altos mit Tief A, europäische oder amerikanische Variante, ich habe sogar eines im originalem lila Lack angespielt – sondern es wurden auch viele bautechnische Details verändert, Knie, S-Bögen, Mensuren, Material. Eine der kuriosten Legenden, die mir dazu zu Ohren kamen, war, dass man ursprünglich als Material Metall aus wieder eingeschmolzenen Kanonrohren aus dem zweiten Weltkrieg genommen hat (daher wahrscheinlich auch der bombastische Sound). Nachdem dieses Metall verbraucht war, wurden die Mark VI schlechter…

Aufgrund dieser baulichen Unterschiede kommt das Gerede über die Seriennummern zustande; dass es bestimmte Reihen gibt, die besonders gut seien. Aber die wenigsten kennen sich bei diesem Thema wirklich aus, zudem ist das oft eine Geschmacksfrage, was den nun besser klingt und zuletzt halte ich das wegen der Selmer naturellen Fertigungsschwankung und dem Zahn der Zeit für überhaupt nicht aussagekräftig.

So etwas ist dann nur wichtig, für die Sammler. Das sind auch die, die die Preise so hoch treiben. Persönlich finde ich, dass der gezahlte Preis in keiner Relation zu spielerischen Aspekten steht. Das Mark VI ist nicht so teuer, weil es so gut ist, sondern so gefragt.
Seriennummern, die angeblich besonders gut sind, erzielen hohe Preise. Begehrt sind die „5-digit“ (also nur fünfstellige Seriennummer). Ich bin überzeugt, dass hat nichts damit zu tun, dass die besser sind, sondern nur seltener. Aber da jetzt viele jetzt ein 5-digit Horn haben, ist das auch nicht mehr „hip“. Der neue Trend geht zum Selmer SBA. Die sind noch seltener.

Und was den Markt angeht; habt ihr euch noch nie gefragt, warum so viele Mark VI zum verkauf stehen, wenn es doch das beste Horn ist? Deshalb solltet ihr immer fragen, wenn euch eines angeboten wird, wer denn gestorben ist. Wenn die Antwort lautet: „Der Opa, der hat noch mit Miles und Coltrane auf der Bühne gestanden“ ist das ein Zeichen für ein gutes Saxophon, wenn die Antwort hingegen „Keiner“ ist, sollte euch das zu denken geben, warum dieses Sax eigentlich verkauft wird. Und seid gewarnt, viele Ebay Dachbodenfunde sind in Wahrheit nur Kellerausmistungen.

Viele Fans führen gerne an, dass auch heute noch die meisten Profis Mark VI spielen.
Die angehenden Jazzgöttern waren auch nicht vor dieser Selmerindoktrinierung gefeit. An den Musikhochschulen spielten die Dozenten und Lehrer die Teile und so dann auch die Studenten und wie bereits oben erwähnt, gab es lange Zeit auch nicht wirklich viele Alternativen.
Von Maceo Parker gibt es eine Aussage (in einer Sonic Ausgabe), wie er denn zu seinem Mark VI gekommen ist. Sinngemäß: „Damals spielten alle meine Vorbilder ein Mark VI. Ich dachte mir, wenn die das spielen ist das Horn auch gut genug für mich“.
Und warum sollten diese Leute nach 20 Jahren, nachdem sie sich auf diesem ihrem Horn eingespielt haben, jede Eigenart kenne und darauf ihren Sound entwickelt haben, wechseln, auf ein Horn, dass vielleicht objektiv etwas besser klingt und besser Intoniert, wenn sie dann nochmal 5 Jahre brauchen um sich so darauf einzuspielen, damit sie wieder auf ihren heutigen Stand kommen?

Zudem häufen sich Beispiele von jüngeren Profis die von ihren Mark VI auf die modernen Hörner der nächsten Generation wechseln. Wie oft da nun ein Endorsementvertrag mit Yamaha oder P.Mauriat dahinter steckt, wollen wir uns gar nicht fragen.

Vielen Mark VI Fans wird vieles was hier steht wahrscheinlich sehr aufstoßen, dabei ist es gar nicht meine Absicht, das an sich immer noch gute Horn irgendwie schlecht zu reden. Ich wollte nur einmal mit dem größten Mist, der darüber erzählt wird aufräumen, und ich hoffe, dass so manch ein Neuling in dieser Thematik ein etwas realistischeres Bild oder zumindest mal eine Gegenposition bekommen hat.